Gedenkbuch
Geleitwort der Rektorin
2023 wurde anlässlich des 85. Jahrestags des ‚Anschlusses‘ Österreichs an das damals nationalsozialistische Deutschland mit der Herausgabe des Gedenkbuchs jenen Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien ein Denkmal gesetzt, die durch das nationalsozialistische Regime ermordet wurden, fliehen mussten, Diskriminierungen erlitten haben oder die aufgrund ihrer politischen Haltung in Gefahr geraten sind. Die Opfer der Verfolgung, Vertreibung und Ermordung wurden aus der Anonymität geholt und Einblicke in ihre vielfältigen Lebenswege gegeben.
Der Blick auf die unterschiedlichen Schicksale macht tief betroffen und bestärkt das Anliegen der mdw, auch weiterhin mit Publikationen, Ausstellungen und Veranstaltungen gegen das Vergessen anzutreten. Die kritische Aufarbeitung der eigenen institutionellen Geschichte in der Zeit des Nationalsozialismus ist eine deklarierte Zielsetzung der mdw und die Weiterführung des Gedenkbuchs als online zugängliche Datenbank ein wichtiger Teil davon.
Ulrike Sych
Entstehung und Gestaltung des Gedenkbuchs
Erste Forschungen zur Verfolgung von Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien im Nationalsozialismus wurden vom Archiv der mdw bereits in den 1990er-Jahren begonnen und die Ergebnisse seither in mehreren Publikationen aufgearbeitet. Aufgrund der Quellenlage ebenso wie archiv- und personenrechtlicher Bestimmungen waren die Untersuchungen zunächst vor allem auf Angehörige des Lehrkörpers beschränkt. Denn während die Vertreibung von aus rassistischen, politischen oder fachlichen Gründen unerwünschten Lehrenden anhand des Aktenbestandes gut dokumentiert ist, gibt es zu Studierenden wesentlich weniger Unterlagen, die Hinweise auf die Gründe ihres Verlassens des Hauses geben. Eine Anfang der 2000er Jahre gefundene Liste der Studierenden des Studienjahres 1938/39, deren Abgleich mit einer entsprechenden, für das Vorjahr erstellten Übersicht die Zahl der Ausgeschiedenen auf knapp 480 Personen beschränkte, erwies sich als hilfreicher Ausgangspunkt für die weitere Intensivierung der Forschungen. Anhand der Sichtung der Matrikelblätter konnten in einem ersten Schritt 81 Studierende mosaischen Glaubensbekenntnisses identifiziert werden konnten. Danach galt es, bei den verbliebenen 397 Personen zu überprüfen, ob diese nach den nationalsozialistischen Rassengesetzen als jüdisch definiert worden waren. Ergänzend wurde der Aktenbestand der Jahre bis 1945 herangezogen, um Personen zu finden, die nach den nationalsozialistischen Gesetzen als ‚Mischlinge‘ galten oder im Widerstand aktiv waren.
In das Gedenkbuch wurden bzw. werden all jene Personen aufgenommen, die in der Zeit zwischen 1938 und 1945 als Studierende, Lehrende oder Angehörige der Verwaltung aufgrund ihrer jüdischen Herkunft oder ihrer politischen Einstellung das Haus verlassen mussten, Restriktionen unterlagen oder denen eine Ausbildung verwehrt wurde. Von einer Aufnahme wurde bei noch lebenden bzw. möglicherweise noch lebenden Personen abgesehen, ebenso wie in zwei Fällen jüdischer Studierender, die aufgrund ihrer Staatsbürgerschaften unmittelbar nach dem ‚Anschluss‘ in sichere Länder gelangen konnten. Da das unter der Leitung von Max Reinhardt stehende Schauspiel- und Regieseminar in Schönbrunn zum Zeitpunkt des ‚Anschlusses‘ eine privat geführte Institution und nicht Teil der mdw war, fanden die vor der im Herbst 1938 erfolgten Wiedereingliederung des Seminars vertriebenen Lehrenden und Studierenden ebenfalls keine Aufnahme.
Der 2023 in Buchform publizierte Forschungsstand bildete die Basis für die vorliegende, permanent auszubauende bzw. um neue Erkenntnisse zu erweiternde Datenbank.
Erwin Strouhal