Weingarten, Paul
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PersonengruppeLehrende
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Geburtsdatum1886-04-20
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Sterbedatum1948-04-11
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Beschreibung
Paul Weingarten
geb. 20.04.1886 in Brünn, Mähren (Brno, CZE), gest. 11.04.1948 in Wien
Paul Weingarten kam am 20. April 1886 als Sohn von Wilhelmine (geb. Saxl) und Dr. Karl Weingarten, einem Rechtsanwalt und späteren Juristen am Verwaltungsgerichtshof, in Brünn (Brno, CZE) zur Welt. Ab dem Alter von sieben Jahren lernte er privat Klavier bei Marie Katholicky und erhielt später zusätzlich Theorieunterricht bei Otto Kitzler. Nach Ablegung der Matura besuchte er von 1904/05 bis 1905/06 die Meisterschule für Klavier bei Emil Sauer an dem von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien geführten Konservatorium für Musik und darstellende Kunst (der Vorgängereinrichtung der mdw) und schloss seine Ausbildung 1906 mit der Ablegung der Diplomprüfung ab. Für die erbrachte Leistung wurde er mit dem von Emil Sauer gestifteten Nikolaus-Rubinstein- Preis ausgezeichnet. Weingarten studierte außerdem Musikwissenschaft an der Universität Wien und promovierte 1910 mit der Vorlage der Dissertation „Die Sonatenproduktion der Wiener Zeitgenossen von Haydn und Mozart von 1775–1825“ zum Doktor der Philosophie.
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs machte Weingarten, der bereits seit seiner Jugendzeit öffentlich aufgetreten war, Karriere als Pianist, die ihn in zahlreiche europäische Länder sowie in den asiatischen Raum führte. Darüber hinaus trat er als Kammermusiker in Erscheinung und konzertierte u.a. vierhändig mit Friedrich Wührer.Im September 1921 kam Weingarten als Lehrer für Klavier an die mdw (damals Akademie für Musik und darstellende Kunst). Im Sommersemester 1923 erhielt er einen Lehrauftrag im Rahmen der neu eingeführten „Hochschulseminarien“ und unterrichtete ab 1924 zunächst als Dozent an der parallel zur Akademie bestehenden Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst, 1928 erfolgte seine Ernennung zum ao. Professor an dieser Institution. Seine Lehrverpflichtung an der Akademie blieb davon unberührt. Nach der Auflösung der Fachhochschule übernahm Weingarten 1931 die Leitung einer Spezialklasse für moderne Klavierliteratur an der aus der Wiedervereinigung der beiden Institutionen entstandenen Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, 1933 wurde er mit der Leitung einer Meisterklasse für Klavier betraut.
Ab Mitte März 1936 ließ sich Weingarten für ein Jahr karenzieren, um am kaiserlichen Konservatorium in Tokio (Tōkyō Ongaku Gakkō) zu unterrichten und in Japan sowie in China zu konzertieren, 1937 verlängerte er seine Beurlaubung um ein weiteres Jahr. Kurz vor seiner Abreise nach Japan hatte er Gräfin Anna Batthyány (1909-1992) geheiratet, 1937 kam das erste Kind des Paares zur Welt, drei weitere folgten.Nach dem Ende seiner Beschäftigungszeit am Konservatorium verließ Weingarten Japan und machte auf seiner Rückreise nach Europa auf Hawaii Station, wo er am 18. März ein Konzert in Honolulu gab. Mit dem Schiff in Italien angekommen, blieb er zunächst in Rom, von wo aus er sich im Juni 1938 brieflich an die mdw wandte.
„ [I]nfolge der geänderten Verhältnisse“ wäre er hinsichtlich seiner weiteren Lehrtätigkeit „im Unklaren“ und ersuchte
„höflichst um freundliche Aufklärung, welche Schritte ich unternehmen soll, um nicht gegen die nunmehr geltenden Vorschriften zu verstoßen und um nicht meine durch meine pragmatische Anstellung erworbenen Ansprüche zu gefährden“.
Nach Rücksprache mit dem Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten antwortete der nach dem ‚Anschluss‘ eingesetzte kommissarische Leiter der mdw, Alfred Orel, dass entsprechend § 3 Abs. 1 der Verordnung zur Neuordnung des österreichischen Berufsbeamtentums „Jüdische Beamte, Beamte, die jüdische Mischlinge sind u. Beamte, die mit einer Jüdin, einem Juden oder mit einem Mischling 1. Grades verheiratet sind“ in den Ruhestand zu versetzen seien und fuhr fort:
„Da Sie den vorgeschriebenen neuen Diensteid [auf Adolf Hitler, Anm.] nicht abgelegt haben, muss ich bis zum Beweise des Gegenteils annehmen, dass Sie infolge Abstammung von mehr als 2 jüdischen Grosseltern nicht berechtigt waren, diesen Eid abzulegen und daher unter die Bestimmung des zitierten § fallen. Sollte dies nicht der Fall sein, so wollen Sie umgehend jedenfalls aber bis 20. Juli den Nachweis ihrer arischen Abstammung erbringen. “
Sollte Weingarten – er war 1904 zur evangelischen Religion und 1936 zum katholischen Glauben konvertiert – die entsprechenden Dokumente nicht vorlegen können, „müsste Ihr Fall nach dem genannten § behandelt werden“, wobei Orel noch hinzufügte, „dass der Genuss eines Ruhegehaltes im Ausland an eine besondere Bewilligung des Finanzministeriums gebunden ist. “ Auch Orels Nachfolger als Leiter der mdw, Franz Schütz, hielt den Antrag auf Pensionierung Weingartens aufrecht, die mit Ende November 1939 erfolgte.
Weingarten, der sich vom Herbst 1938 bis mindestens Ende Mai 1939 in Großbritannien aufgehalten hatte und mittlerweile in Budapest (HUN) lebte, wandte sich im Februar 1940 an das Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, da er mehrfach „auf direktem sowie auf indirektem Wege von der Akademie eine genauere Auskunft“ die Auszahlung seiner Pension betreffend zu erhalten versucht hatte, er aber „lediglich ermitteln [konnte], dass der betreffende Akt noch nicht erledigt sei“ und bat darum, „in meinem Fall urgieren zu wollen“. Anfang März antwortete die mdw ihm sowie dem von ihm ein geschalteten Anwalt, das Ministerium hätte mitgeteilt,
„dass infolge der Tatsache, dass sie von dem Ihnen bis 31.3.1938 gewährten Auslandsurlaub nicht zurückgekehrt sind, Ihr Dienstverhältnis […] mit der Massgabe als beendet erklärt wird, dass Sie alle aus diesem Dienstverhältnis fliessenden Befugnisse, Rechte und Ansprüche für sich als auch für Ihre Angehörigen verloren haben.“Weingarten überlebte die Zeit des Nationalsozialismus in Ungarn, seine Schwester Elisabeth wurde am 11. Jänner 1942 von Wien nach Riga (Riga, LVA) deportiert und wurde Opfer der Shoah. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft meldete sich der aus Budapest zurückgekehrte Weingarten am 30. Juli 1945 zum Dienstantritt an der mdw und übernahm ab dem 1. September eine Hauptfachklasse für Klavier. Im Oktober ersuchte Akademiepräsident Karl Kobald, „im Zuge der Wiedergutmachung Prof. Paul Weingarten zum Ordinarius zu ernennen. “ Der gleiche Antrag wurde auch von Kobalds Nachfolger Hans Sittner im November 1946 erneut gestellt, blieb jedoch erfolglos.
Paul Weingarten starb am 11. April 1948 in Wien und wurde in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof bestattet.
Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Personalakt Paul Weingarten; 359/Res/1938; 106/Res/1938; 523/Res/1939; 96/Res/1940; 102/Res/1945; 378/Res/1945.
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Hg.), Statistischer Bericht über das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst […] für das Schuljahr 1904-1905, S. 100.
Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (Hg.), Statistischer Bericht über das Konservatorium für Musik und darstellende Kunst […] für das Schuljahr 1905-1906, S. 100 u. S. 173.
mza.cz/actapublica/matrika: Ev. Kirchengemeinde A.B. u. H.B. in Brünn, Taufbuch 1904, fol. 149.
data.matricula-online.eu: Rk. Erzdiözese Wien, Pfarre St. Karl Borromäus, Trauungsbuch Bd. 30, fol. 146 (1936) [dort Hinweis auf die katholische Taufe in der Pfarre Maria Rotunda am 16.03.1936].
anno.onb.ac.at: Wiener Zeitung, 31.01.1885, Amtsblatt, [S. 175]; Neue Freie Presse, 06.01.1911, S. 7; Die Stunde, 05.02.1936, S. 4; Neues Wiener Abendblatt [Neues Wiener Tagblatt, Abendausgabe], 11.02.1936, S. 4; Salzburger Nachrichten, 05.09.1946, S. 6.
newspapers.com: Honolulu Star-Bulletin, 12.03.1938, S. 38; Honolulu Star-Bulletin, 19.03.1938, S. 6; The Daily Telegraph, 23.02.1939, S. 10.
ancestry.com: UK and Ireland, Incoming Passenger Lists.
biographien.ac.at: Ruth Müller, Artikel „Weingarten, Paul (1886–1948), Pianist und Musikpädagoge“.
Erich H. Müller (Hg.), Deutsches Musiker-Lexikon, Dresden 1929, Sp. 1539.
doew.at: Personendatenbank.
friedhoefewien.at: Verstorbenensuche.Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Paul Weingarten, in: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons//073516a0-cb03-4bce-8e41-f0399f614463/)Letzte Änderung: 14.11.2024