Jettel, Lisbeth
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PersonengruppeStudierende
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Geburtsdatum1909-07-09
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Sterbedatum2005-08-22
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Beschreibung
Lisbeth Jettel
geb. 09.07.1909 in Marienbad, Böhmen (Mariánské Lázně, CZE), gest. 22.08.2005 in Wien
Alternative Namen: geb. Lisbeth SchwagerLisbeth Jettel kam am 9. Juli 1909 als Tochter von Marie (geb. Löwenthal) und Emanuel Schwager in Marienbad (Mariánské Lázně, CZE) zur Welt.
1934 kam sie nach Wien, um bei Marie Richter-Cankl ihre bereits in der damaligen Tschechoslowakei begonnene Gesangsausbildung fortzusetzen. Im Jänner 1936 heiratete sie den Klarinettisten Rudolf Jettel (1903-1981), der seit 1934 im Orchester der Wiener Staatsoper und seit 1935 Mitglied der Wiener Philharmoniker war. Auf Anraten ihrer Gesangslehrerin und ihres Ehemannes schrieb sie sich an der mdw (damals Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien) ein. Hier studierte sie von 1936/37 bis 1937/38 Dramatische Darstellung (Opernschule) bei Heinz Schulbaur.
Nach dem ‚Anschluss‘ besuchte Jettel den Unterricht nicht mehr. Im Mai 1938 gab sie schriftlich ihren Austritt bekannt und ersuchte, sie von der Bezahlung des Schulgeldes für das Sommersemester zu befreien, wobei sie angab:
„Der Grund meines Austrittes ist, ich bin Jüdin u. habe daher keine Aussichten diesen Beruf auszuüben. Dem Unterricht bin ich schon lange ferngeblieben. “
Dieses Ansuchen wurde – ebenso wie diejenigen sämtlicher anderen jüdischen Studierenden – abgelehnt. Auch eine erneute Bitte um Zahlungserlass blieb erfolglos. In der Hoffnung, einen Neustart nach dem erhofften Gang ins Exil zu erleichtern, besuchte Jettel Kochkurse, lernte Gürtel und Handschuhe zu nähen und machte einen Konditorinnenkurs. Jedoch:„Als die Aussicht immer geringer wurde meine Mutter aus Prag herauszubringen um derentwillen ich sogar meine Ehe aufgeopfert hätte, blieb ich in Wien u. wurde Ende 1942 bei der Firma Kessler, Reichenbach dienstverpflichtet. Ich bekam eine Heimarbeit ‚Gobbelin‘ [sic] , arbeitete bis Kriegsende für diese Firma. “
Lisbeth Jettels Mutter wurde Anfang Juli 1942 nach Theresienstadt (Terezín, CZE) deportiert, von dort am 19. Oktober 1942 in das Vernichtungslager Treblinka (POL) überführt und ermordet. Jettels Ehemann konnte seine Stelle bei den Wiener Philharmonikern nur mit einer Sondergenehmigung behalten. Bernadette Mayrhofer zitiert in ihrem biographischen Porträt über ihn einen Zeitzeugen, dem Rudolf Jettel erzählte, man hätte ihm nahegelegt, sich von seiner Frau scheiden zu lassen, „sonst würde man ihn mit ihr zusammen ins KZ schicken“. Nach einer unbedachten Bemerkung wurde er später kurzfristig suspendiert und ihm drohte der Verlust seines Postens im Orchester.
Die in der Zeit des Nationalsozialismus durchlebten psychischen Belastungen machten es Lisbeth Jettel unmöglich, die davor angestrebte Laufbahn als Sängerin zu ergreifen. Der während der nationalsozialistischen Herrschaft erlittene Verlust nahezu der ganzen Familie – einzig ihre Schwester und entferntere Verwandte überlebten die Shoah – ebenso wie die erfahrenen Anfeindungen und Diskriminierungen belasteten sie ihr Leben lang. Erst wenige Jahre vor ihrem Tod sprach Jettel mit ihrem Großneffen über die NS-Zeit – die „Aufarbeitung eines Schattens, der jahrelang über der Familie lag“ – wie dieser bei Mayrhofer zitiert wird.
Lisbeth Jettel (geb. Schwager) starb am 22. August 2005 in Wien.
Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Matrikelblatt Lisbeth Jettel; 1331/38 Sch3; 1672/38 Sch3; Personalakt Rudolf Jettel.
geni.com: Eintrag zu „Lisbeth Schwager“.
Wiener Stadt- und Landesarchiv: Opferfürsorgeakt 20799.
Bernadette Mayrhofer und Fritz Trümpi, Orchestrierte Vertreibung. Unerwünschte Wiener Philharmoniker. Verfolgung, Ermordung und Exil, Wien 2014, S. 51, S. 184, S. 186 u. S. 191-192.
collections.arolsen-archives.org: Inhaftierungsdokumente, Kartei Theresienstadt, Schwagerová Marie.Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Lisbeth Jettel, in: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons/24238ba7-a73a-4825-ba39-6d391fc4fcd7/)Letzte Änderung: 14.11.2024