Weissensteiner, Raimund
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Externe Identifikatoren
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PersonengruppeLehrende
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Geburtsdatum1905-08-14
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Sterbedatum1997-07-12
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Beschreibung
Raimund Weißensteiner
geb. 14.08.1905 in Hoheneich, gest. 12.07.1997 in Wien
Alternative Namen: geb. Raymund Vinzenz Weißensteiner, auch WeissensteinerRaymund Vinzenz Weißensteiner kam am 14. August 1905 als Sohn von Emilie (geb. König) und Vinzenz Weißensteiner, einem Pulverwerksbesitzer, in Hoheneich zur Welt. Sowohl er als auch seine vier Geschwister wuchsen in einem musikalischen Elternhaus auf. Weißensteiner erhielt Violinunterricht und eine gesangliche Ausbildung, da er auf Wunsch der Eltern Sängerknabe im Stift Zwettl werden sollte. 1916 kam er in das dortige Internat und wechselte zwei Jahre danach in das Knabenseminar Hollabrunn. Hier lernte er im schulischen Rahmen Bratsche, Harmonium sowie Orgel, befasste sich darüber hinaus autodidaktisch mit Harmonielehre und begann im Alter von 16 Jahren zu komponieren. Nach der 1924 abgelegten Matura trat Weißensteiner in das Erzbischöfliche Priesterseminar Wien ein. Neben seiner geistlichen Ausbildung betrieb er musikalische Privatstudien bei Hans Gál, Ferdinand Habel und Viktor Graef. Nach seiner 1929 erfolgten Priesterweihe war er als Kaplan (die damalige Bezeichnung lautete Kooperator) zunächst in Hollabrunn, ab 1933 in der Wiener Pfarre St. Brigitta und ab 1938 in der Wiener Votivkirche tätig.
Von 1931/32 bis 1933/34 studierte Weißensteiner in der Meisterschule für Komposition bei Franz Schmidt an der mdw (damals Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien) und besuchte im letzten Jahr zusätzlich die Kapellmeisterschule sowie den Lehrgang für Kirchenmusik an der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik. 1934 schloss er als Abiturient der Meisterschule seine kompositorische Ausbildung ab. Anfang September 1938 kam Weißensteiner als Lehrer für Partiturlesen, Formenlehre und Kontrapunkt an die Abteilung für Kirchen- und Schulmusik der mdw.
Bereits im November 1938 wurde er wegen „staatsabträglicher Reden gegen den Nationalsozialismus durch die Staatspolizei verwarnt“. Bei einer im Sommer 1943 unternommenen Bergtour in den Stubaier Alpen traf er auf Bekannte, die er für vertrauenswürdig hielt, und sprach offen über seine ablehnende Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus, der sich seiner Ansicht nach nicht mit den Lehren der katholischen Kirche vereinbaren ließ. Unter anderem äußerte er die Meinung, „Deutschland werde den Krieg verlieren“ und zitierte „Aussprüche des Führers und des Reichsministers Dr. Goebbels, die er unter verächtlichen Gebärden und Grimassen in die Natur hinausschrie, um sie [gemeint sind Hitler und Goebbels] zu verhöhnen“. Weißensteiner wurde angezeigt, am 13. September zur „Auskunftserteilung“ in das Gestapo-Hauptquartier vorgeladen und konnte – zu seiner eigenen Überraschung – anschließend nach Hause gehen. Eine Flucht erschien ihm weder aussichtsreich noch sinnvoll, da er erwartete, dass Krieg und Diktatur bald zu Ende sein würden. Drei Tage nach seiner Einvernahme erfolgte eine Hausdurchsuchung, nach der er in Arrest genommen wurde. In der von Leopold Wech über Weißensteiner verfassten Biografie sind dessen Erinnerungen an die Zeit seiner Inhaftierung abgedruckt, in denen er detailliert beschreibt, auf welchen Wegen sich Familienmitglieder und Bekannte darum bemühten, ihm zu helfen, und auf welche Art und Weise es gelang, ein härteres Urteil in dem gegen ihn geführten Prozess zu verhindern. Bei der Hauptverhandlung am 27. September 1944 wurde Weißensteiner zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt. Im Jänner 1945 erfolgte seine Verlegung vom Gefängnis des Landesgerichts in das Arbeitslager Göllersdorf. Als dessen Insassen im März 1945 in das Konzentrationslager Mauthausen transportiert wurden, gelang ihm mit einem Sprung aus dem fahrenden Zug die Flucht. In einem mehrtägigen Fußmarsch schlug er sich zu seiner Familie nach Hoheneich durch, die ihn bis zum Kriegsende versteckte.
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Diktatur nahm Weißensteiner seine Tätigkeit in der Pfarre Votivkirche wieder auf und unterrichtete parallel dazu von Oktober 1945 bis Ende September 1968 an der mdw (damals Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien). Nach seiner Pensionierung lebte er im Pfarrhaus von Großjedlersdorf im 21. Bezirk, wo er weiterhin seelsorgerisch arbeitete. In Würdigung seines reichen kompositorischen Schaffens wurde Weißensteiner 1953 mit dem Professortitel, 1965 mit dem Kulturpreis des Landes Niederösterreich und 1984 mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst I. Klasse ausgezeichnet.
Raimund Weißensteiner starb am 12. Juli 1997 in Wien.
Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Personalakt Raimund Weißensteiner; Klassenkataloge Meisterschule für Komposition Franz Schmidt 1931/32 - 1932/33.
data.matricula-online.eu: Rk. Diözese St. Pölten, Pfarre Hoheneich, Taufbuch Bd. 5, fol. 239.
Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Jahresbericht der Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst. Schuljahr 1933/1934, Wien 1934, S. 44.
Leopold Wech, Raimund Weißensteiner. Leben. Bekenntnis. Musik. Eine Biographie, Wien 1975.
degruyter.com: Online-Datenbank Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933-1945, Anklage 10J 974/43 u. Urteil 3L 306/44 – 4J 29/44.
musiklexikon.ac.at: Alexander Rausch, Artikel „Weißensteiner, Raimund“.
de.wikipedia.org: Artikel „Knabenseminar Hollabrunn“.Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Raimund Weißensteiner, in: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons/90903534-450a-4c1b-9aa3-6b7c1003eda3/)Letzte Änderung: 14.11.2024