Kremer, Erna
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PersonengruppeLehrende
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Geburtsdatum1896-07-09
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Sterbedatum1942-05-11
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Beschreibung
Erna Kremer
geb. 09.07.1896 in Lemberg, Galizien (L’viv, UKR), gest. 11.05.1942 in Maly Trostinec (Maly Traszjanez, BLR)
Erna Kremer wurde am 9. Juli 1896 in Lemberg (L’viv, UKR) als dritte Tochter von Gisela (geb. Rabinek) und Jakob Kremer geboren. Aufgrund der Versetzung des Vaters – eines Beamten des k. u. k. Kriegsministeriums – übersiedelte die Familie 1897 nach Sarajevo (BIH), wo Kremers jüngerer Bruder zur Welt kam. 1905 zog die Familie nach Wien. Hier besuchte Kremer die Bürgerschule und erhielt privaten Fortbildungsunterricht, ersten Klavierunterricht erteilte ihr die Mutter.
1906/07 begann Kremer mit dem Besuch des Klavier-Vorbereitungskurses bei Hans Hofmann ihre Ausbildung an der mdw (damals noch das von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien geführte Konservatorium für Musik und darstellende Kunst). Obwohl sie noch nicht das dafür notwendige Mindestalter von zwölf Jahren erreicht hatte, durfte sie im darauffolgenden Studienjahr in die Klavier-Vorbildungsklasse von Josef Saphier eintreten. Von 1910/11 bis 1913/14 setzte sie ihre Studien in der Ausbildungsklasse von Louis Thern fort und belegte ab 1911/12 bei Hermann Grädener, Richard Stöhr und Eusebius Mandyczewski Musiktheorie als zweites Hauptfach. 1914 legte sie die Reifeprüfung für Klavier mit vorzüglichem Erfolg ab, für die erbrachte Leistung wurde ihr ein Akademiediplom verliehen und sie erhielt eine Prämie. 1914/15 besuchte sie den Lehrerbildungskurs für Klavier, den sie 1915 ebenfalls mit Auszeichnung abschloss und für den sie abermals eine Prämie erhielt. 1915/16 studierte sie bei Emil (von) Sauer in dessen Meisterschule für Klavier. In den folgenden Jahren begann sie als Pianistin aufzutreten, belegt ist auch eine Konzertreise in Schweden. Sie erteilte privat Unterricht und leitete ab 1923, eventuell bereits ab 1922, eine Klavier-Ausbildungsklasse am Neuen Wiener Konservatorium. Spätestens ab Anfang der 1930er-Jahre wurde sie als Solistin und Kammermusikerin für Auftritte im Rundfunk engagiert.
Am 1. März 1934 nahm Kremer ihre Lehrtätigkeit für das Nebenfach Klavier an der mdw (damals Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien) auf. Da eine Doppelbeschäftigung an dem Neuen Wiener Konservatorium und der Staatsakademie nur in wenigen Ausnahmefällen von der Akademie gestattet wurde, ist davon auszugehen, dass sie das Konservatorium 1934 verließ. Im März 1938 wurde Kremer, nur wenige Tage nach dem ‚Anschluss‘, vom kommissarischen Leiter der Akademie, Alfred Orel, beurlaubt und in der Folge „ersucht […] ein Urlaubsansuchen einzubringen“. Am 24. Mai 1938 ordnete das Ministerium auf entsprechenden Antrag der Akademie die Kündigung ihres Vertrags mit Ende August 1938 an.
Ebenso wie Kremer verloren auch ihre Geschwister innerhalb weniger Monate ihre Anstellungen. In der Folge zogen, beginnend mit ihrem Bruder, nach und nach ihre Mutter, Schwestern und Nichten in ihre Wohnung, die die längste Zeit der Sitz der Familie gewesen war. Einzig ihrer Schwester Klara und einer Nichte, Helga, gelang es, das Land zu verlassen. Ihre andere Schwester, Berta Aichinger, war durch ihre noch minderjährige, als ‚Mischling‘ geltende Tochter Ilse bis zu einem gewissen Grad geschützt.
Im Jänner 1940 mussten Kremer und ihre Mutter, später auch ihr Bruder Felix, in eine Sammelwohnung am General-Krauß-Platz 3 (heute: Esteplatz) ziehen. Hier lebten sie bis etwa Ende April oder Anfang Mai 1942, als sie in das Sammellager in der Kleinen Sperlgasse überführt wurden. Am 6. Mai wurden sie von dort zum Aspangbahnhof transportiert, wo um 19 Uhr der Deportationszug mit ca. 1000 Jüdinnen und Juden in Richtung Minsk abfuhr. Den ersten Halt gab es nach zwei Tagen, als sie von Personen- in Viehwaggons umsteigen mussten. Einen weiteren Halt gab es am 9. Mai in Kojdanow (Dsjarschynsk, BLR), wo der Zug zwei Tage stehen blieb. Am 11. Mai um neun Uhr startete der Zug zur letzten Etappe nach Maly Trostinec (Maly Traszjanez, BLR), von wo die Menschen mit Lastwägen in den Wald Blagowschtschina gebracht und dort erschossen wurden.
Die Erinnerung an Erna Kremer lebt in zahlreichen Texten ihrer Nichte Ilse Aichinger weiter. Auf Anregung der Familie wurde 2013 vor dem Haus in der Hohlweggasse 1 ein Stein des Gedenkens an die Opfer der Shoah für Erna, Felix und Gisela Kremer gelegt.
2019/20 erfolgte an der mdw die jährlich wechselnde Benennung des Saales spiel|mach|t|raum nach einer Frau aus der Geschichte des Hauses nach Erna Kremer. Zu diesem Anlass erschien ein Beitrag des mdw-Archivs auf der virtuellen Wissensplattform spiel|mach|t|raum und ein Erna Kremer gewidmeten Sonderheft in der archiveigenen Publikationsreihe.
2021 wurde auf der Schwedenbrücke in Wien ein Denkmal für Ilse Aichinger enthüllt – an jener Stelle, von der aus sie mitansehen musste, wie ihre Großmutter, ihre Tante Erna Kremer und ihr Onkel auf einem offenen LKW zum Aspangbahnhof abtransportiert wurden.Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Matrikelblatt Erna Kremer; Personalakt Erna Kremer, Standesausweis; 866/1938 PU.
mdw.ac.at/spielmachtraum: Lynne Heller, Severin Matiasovits und Erwin Strouhal, erna kremer (lemberg 1896 – maly trostinec 1942). pianistin, lehrende an der mdw 1934–1938.
Lynne Heller, Severin Matiasovits und Erwin Strouhal, Erna Kremer. Lemberg 1896 – Maly Trostinec 1942. Annäherung an ein Künstlerinnenleben, Wien 2019.Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Erna Kremer, in: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons/c103bfe8-b37e-42a3-b83e-d01229eb8583/)Letzte Änderung: 14.11.2024