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  • Gedenkbuch

Bodenwieser, Gertrud

Lehrende


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Lebensdaten
1890-02-03 – 1959-11-10
Weitere Namen
  • Bondi, Gertrude
  • Rosenthal, Getrude
  • Bodenweiser, Gertrude

Biografie

Gertrud Bodenwieser

geb. 03.02.1890 in Wien, gest. 10.11.1959 in Sydney, NSW (AUS)
Alternative Namen: geb. Gertrude Bondi, verh. Rosenthal, auch Bodenweiser

Gertrud Bodenwieser kam als zweite Tochter von Marie (geb. Tandler) und dem als Börsensensal tĂ€tigen Johann Theodor Bondi am 3. Februar 1890 in Wien zur Welt. Bodenwieser erhielt eine klassische Tanzausbildung bei Karl Godlewski, erste Auftritte als „CharaktertĂ€nzerin“ unter dem KĂŒnstlerinnennamen Gertrud Bodenwieser sind ab 1915 belegbar. Inspiriert von den Lehren François Delsartes, Bess Mensendiecks, Émile Jaques-Dalcrozes und Rudolf von Labans entwickelte sie ihre expressionistische Form des Ausdruckstanzes, mit dem sie 1919 bei einer Veranstaltung im Wiener Konzerthaus den kĂŒnstlerischen Durchbruch schaffte. Noch im gleichen Jahr begann sie ihre LehrtĂ€tigkeit am Neuen Wiener Konservatorium. Im Juni 1920 heiratete Bodenwieser den Regisseur und Autor [Jacques] Friedrich Rosenthal (1885-1942) und kam im November zunĂ€chst als Lehrerin fĂŒr das Nebenfach Mimik und Tanz an die mdw (damals Staatsakademie fĂŒr Musik und darstellende Kunst in Wien), 1921 wurde sie als vertragliche Lehrerin fĂŒr KĂŒnstlerischen Tanz bestellt. Parallel zu ihrer UnterrichtstĂ€tigkeit an der Akademie fĂŒhrte sie von 1922 bis 1938 eine eigene, im Wiener Konzerthaus untergebrachte Schule, ab 1924 trat sie mit der von ihr gegrĂŒndeten Tanzgruppe auf.

Bodenwieser zĂ€hlte zu jenen LehrkrĂ€ften der mdw, die aufgrund ihrer jĂŒdischen Herkunft mit 15. MĂ€rz 1938 „beurlaubt“ wurden bzw. vom kommissarischen Leiter Alfred Orel „entsprechend den erhaltenen Weisungen [
] ersucht [wurden,] ein Urlaubsansuchen einzubringen“. Mit einem auf den 29. MĂ€rz datierten Schreiben legte sie ihre Lehrstelle nieder, mit einem weiteren vom 30. MĂ€rz bat sie um ihre Beurlaubung. In einem ergĂ€nzenden Brief an die Akademie schrieb sie: „Wenn Herr PrĂ€sident sie [die beiden Schreiben, Anm.] anders verfaßt haben wollen, so unterschreibe ich natĂŒrlich alles, was Herr PrĂ€sident mir raten. “

Dank zweier Engagements konnten sowohl Bodenwieser als auch einige ihrer SchĂŒlerinnen im Juni 1938 bzw. teilweise spĂ€ter vor der nationalsozialistischen Verfolgung fliehen; sie selbst ging mit einem Teil der Truppe (darunter die Studentin ihrer Klasse an der mdw Johanna Kolm) ĂŒber Frankreich und Venezuela zunĂ€chst nach Kolumbien. Die zweite Gruppe, der ihre Studentinnen Edith Katharina Kann, Bettina Lanzer, Melitta Melzer und Daisy Pirnitzer angehörten, konnte sich in Australien in Sicherheit bringen. Bodenwiesers Ehemann Friedrich Rosenthal blieb in Frankreich und war 1939 u.a. in Toulouse und Marseille interniert. Noch 1940 ist belegbar, dass sie sich darum bemĂŒhte, ihn ins Exil nachzuholen. Rosenthal wurde im August 1942 von Camp Nexon nach Drancy und am 31. August 1942 von dort nach Auschwitz (Oƛwięcim, POL) deportiert: Er hat die Shoah nicht ĂŒberlebt. Im Fall ihrer ebenfalls nach Frankreich geflohenen Schwester Franziska Hecht und deren Sohn gelang es Bodenwieser, ihnen die Einreise nach Kolumbien zu ermöglichen. Die beiden trafen dort allerdings erst ein, als sie selbst das Land bereits verlassen hatte: Bodenwieser ging im Juni 1939 nach Neuseeland. Einem Mitte August publizierten Zeitungsbericht zufolge beabsichtigte sie, in Wellington zu bleiben, brach jedoch bereits wenige Tage spĂ€ter nach Australien auf, wo sie gemeinsam mit ihrem Klavierbegleiter Marcel Lorber mit der S. S. Maunaganui am 23. August 1939 in Sydney eintraf. Hier ließ sie sich nieder und grĂŒndete eine Schule fĂŒr modernen Tanz und mit dem Bodenwieser Ballet eine Tanzgruppe, die bedeutenden Einfluss auf das australische Tanztheater hatte.

1954 versuchte Bodenwieser, eine EntschĂ€digung nach dem BeamtenentschĂ€digungsgesetz (BGBl. 181/52) zu erhalten. Seitens des Bundesministeriums fĂŒr Unterricht wurde im Zuge der Erhebungen festgestellt: „In den AntrĂ€gen der Musikakademie des Jahres 1938, betr. Entfernung der aus ‚rassischen GrĂŒnden‘ untragbaren Personen, scheint Professor Bodenwieser nicht auf. “ Auf welche Berichte hier Bezug genommen wurde, ist nicht nachvollziehbar: Ihr Name findet sich in mehreren Akten, auch wurden die Enthebungen von LehrkrĂ€ften im gedruckten Jahresbericht der Akademie ĂŒber das Schuljahr 1937/38 detailliert geschildert. Das schließlich vom Bundeskanzleramt ĂŒbernommene Verfahren zog sich ĂŒber mehrere Jahre, erst ab 1957 erhielt sie EntschĂ€digungszahlungen.

Gertrud Bodenwieser (geb. Bondi, verh. Rosenthal) starb am 10. November 1959 im australischen Exil in Sydney. 2016 wurde in Wien eine Gasse im 22. Bezirk nach ihr benannt. Die mdw wĂŒrdigte Bodenwieser mit der Widmung des Raumes spiel|mach|t|raum fĂŒr das Studienjahr 2020/21 und der Publikation eines biografischen Beitrags auf der gleichnamigen virtuellen Plattform.

Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Personalakt Gertrud Bodenwieser-Rosenthal; 94/Res/1938; 38/Res/1938; 886/1938 PU;1424/1938 P Div; 1843/1938 Min.
familysearch.org: Österreich, Niederösterreich, Wien – Matriken der Israelitischen Kultusgemeinde; New Zealand, Archives New Zealand, Passenger Lists [als Gertrud Bodenweiser bzw. G Rosenthal-Bodenwieser gefĂŒhrt].
genteam.at: Sterbeanzeigen in der „Neuen Freien Presse“ Wien.
anno.onb.ac.at: Neue Freie Presse, 24.02.1895, S. 17; Die Zeit, 10.01.1915, S. 7.
Andrea Amort, Alles tanzt. Kosmos Wiener Tanzmoderne, Berlin 2019, S. 218-219 u. S. 333.
Shona Dunlop MacTavish, Gertrud Bodenwieser: TĂ€nzerin, Choreographin, PĂ€dagogin. Wien – Sydney, Bremen 1992.
tanz.at: Gunhild Oberzaucher, Gertrud Bodenwieser – die frĂŒhen Jahre.
Ilse Korotin (Hg.) BiografiA. Lexikon österreichischer Frauen, Bd. 1, Wien – Köln – Weimar 2016.
Bettina Vernon-Warren und Charles Warren (Hg.), Gertrud Bodenwieser and Vienna‘s Contribution to Ausdruckstanz, Amsterdam u. a. 1999.
Frithjof Trapp et al. (Hg.), Handbuch des deutschsprachigen Exiltheaters 1933-1945, MĂŒnchen 1999, Bd. 2, Teil 1, S. 104 u. Bd. 2, Teil 2, S. 801.
ressources.memorialdelashoah.org: Eintrag zu Friedrich Rosenthal.
biografien.ac.at: Agnes Bleier Brody, Artikel „Rosenthal Friedrich (Jacques)“.
wien.gv.at: WAIS – Wiener Archivinformationssystem, Meldezettel Friedrich Jacques Rosenthal.
geschichtewiki.wien.gv.at: Artikel „Gertrud Bodenwieser-Rosenthal“.
paperspast.natlib.govt.nz: Waikato Times, 19.08.1939, S. 17.
recordsearch.naa.gov.au: Gertrud Bodenweiser [sic], Personal Statement and Declaration, 23.08.1939; Applicant - Rosenthal [Bodenwieser] Gertrud; Nominee - Rosenthal Frederic [sic]; nationality Austrian, A261, 1940/735.
trove.nla.gov.au: The Sydney Morning Herald, 24.08.1939, S. 18.
Staatsakademie fĂŒr Musik und darstellende Kunst in Wien (Hg.), Jahresbericht der Staatsakademie fĂŒr Musik und darstellende Kunst in Wien. Schuljahr 1937/38, [Wien 1938], S. 8.
mdw.ac.at: Stabstelle Gleichstellung, Gender Studies und DiversitĂ€t (GGD) – Veranstaltungen spiel|mach|t|raum, Gertrud Bodenwieser; Monika Bernold, Artikel „‘der heiße atem unserer aufgewĂŒhlten zeit’ – gertrud bodenwieser, tanzkĂŒnstlerin in wien bis 1938“, in: spiel|mach|t|raum. frauen* an der mdw 1817-2017plus, hg. von Andrea Ellmeier, Birgit Huebener und Doris Ingrisch, mdw – UniversitĂ€t fĂŒr Musik und darstellende Kunst Wien, 2017ff.

Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Gertrud Bodenwieser, in: Gedenkbuch fĂŒr die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – UniversitĂ€t fĂŒr Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons/d2d0bd0f-97d6-4042-8475-0351a5bb0818/)

Letzte Änderung: 14.11.2024