Wunderer, Alexander
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PersonengruppeLehrende
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Geburtsdatum1877-04-11
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Sterbedatum1955-12-29
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Beschreibung
Alexander Wunderer
geb. 11.04.1877 in Wien, gest. 29.12.1955 in Zinkenbach (heute Abersee) bei St. Gilgen
Alexander Anton Wunderer wurde am 11. April 1877 als Sohn von Anna (geb. Novak) und Anton Wunderer in Wien geboren und wuchs in einer musikalischen Familie auf: Sein Vater war Hornist, Komponist und Dirigent, einer seiner Brüder, sein Onkel väterlicherseits und Verwandte seiner Mutter waren ebenfalls Hornisten, sein Bruder Adolf spielte Trompete, sein Bruder Othmar wurde ebenso wie er Oboist.
Von 1891/92 bis 1895/96 studierte Wunderer Oboe bei Richard Baumgärtel an dem von der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien geführten Conservatorium für Musik und darstellende Kunst (der Vorgängerinstitution der mdw) und wurde anlässlich der Ablegung seiner Reifeprüfung 1896 mit der Silbernen Gesellschaftsmedaille ausgezeichnet, die „für ausgezeichnet vollendete Studien“ vergeben wurde. Danach absolvierte Wunderer seinen dreijährigen Militärdienst in einer Regimentskapelle und nahm anschließend ein Engagement im Orchester des Deutschen Volkstheaters in Wien an. 1900 wurde er in das Orchester der k. k. Hofoper und als Mitglied der Wiener Philharmoniker aufgenommen. Im selben Jahr heiratete er Maria Anna „Marianne“ Kreuzer (1896-1958), von den vier Kindern des Ehepaares erreichten nur zwei – Robert (1902-1963) und Gertrud „Gerta“ (1906-1984) – das Erwachsenenalter. Neben seiner Beschäftigung in den Orchestern war Wunderer als Kammermusiker in der Vereinigung für Bläser-Kammermusik gemeinsam mit Kollegen der k. k. Hofoper sowie als Dirigent tätig und erteilte Unterricht sowohl privat als auch an der Musikschule Liebing (ca. 1901-1911) sowie am Neuen Wiener Konservatorium (um 1934). Er gründete 1913 die Wiener Bachgemeinde, deren künstlerischer Leiter er bis 1938 bleiben sollte, und war von 1923 bis 1932 Vorstand der Wiener Philharmoniker, denen er bis zu seiner Pensionierung 1937 angehörte. Darüber hinaus war er lange Zeit fachtechnisches Mitglied des Patentgerichtshofs sowie Mitglied der Kommission zur Beglaubigung von Stimmgabeln.
1919 kam Wunderer als Lehrer für Oboe an die mdw (damals Staatsakademie für Musik und darstellende Kunst in Wien), ab 1923 unterrichtete er auch Bläserkammermusik und ab 1927 zusätzlich Instrumentenkunde. An der 1924 von der Akademie getrennt geführten Fachhochschule für Musik und darstellende Kunst wurde er 1924 zum ao. Professor für Bläserkammermusik ernannt und leitete von 1927 bis 1931 zudem die Kapellmeisterschule. Darüber hinaus brachte sich Wunderer in akademischen Gremien ein und wurde 1927 bei der Wahl des Akademiedirektors zwar vom Lehrkörper mit eindeutiger Stimmenmehrheit an die erste Stelle des Dreiervorschlags gesetzt, vom Unterrichtsministerium jedoch nicht mit der Leitung des Hauses betraut.
Im Mai 1938 beantragte der nach dem ‚Anschluss‘ eingesetzte Leiter der mdw, Alfred Orel, die Pensionierung Wunderers, den er „als ausgesprochen judenfreundlich bekannt“ beschrieb und ihn als „sachlich als Lehrer nicht mehr auf der Höhe seiner Leistungsfähigkeit“ befand. Orels Nachfolger Franz Schütz ersuchte im September um die Beurlaubung Wunderers, seine Pensionierung erfolgte schließlich mit Ende Juni 1939.
Wunderer, der sich Ende September 1938 in sein Haus in Zinkenbach (heute: Abersee) bei St. Gilgen zurückgezogen hatte, schrieb in seinen Lebenserinnerungen, dass er von Oktober 1938 bis Juni 1939 kein Gehalt erhielt. Er musste „hungern und darben“ und auch einige „Anstrengungen“ unternehmen, „das Haus zu erhalten, nachdem [sic] schon ein gieriger Nazi die Hände ausstreckte“. Darüber hinaus stattete ihm die Gestapo einen Besuch ab, um ihn über seine „Zugehörigkeit zur Freimaurerei“ zu befragen. Den größten persönlichen Verlust stellte die Flucht seiner langjährigen Lebensgefährtin Helene Pessl (geb. Herz, 1882-1954) dar, die sich wegen ihrer jüdischen Herkunft Mitte September 1938 vor der nationalsozialistischen Verfolgung in den USA in Sicherheit brachte. Eine tiefe menschliche Enttäuschung erlebte er zudem durch die Hinwendung seines Freundes Franz Schmidt zum Nationalsozialismus. Wunderer widmete sich in den folgenden Jahren dem Komponieren, brachte sich in der Pfarrgemeinde St. Wolfgang als Mitglied des Kirchenchores und Organist ein und erteilte Musikunterricht.
Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft unterrichtete Wunderer ab April 1946 Oboe, ab 1947/48 auch Bläserkammermusik und Elementarlehre für Bläser an der Akademie für Musik und darstellende Kunst Mozarteum in Salzburg. 1949 ging er in die USA, um die Musikabteilung von Sanford Preparatory School und Sunny Hills School (beide heute: Sanford School) in der Nähe von Wilmington (DE) zu leiten und wurde bei der Unterrichtserteilung von Helene Pessl unterstützt. 1951 kehrte Wunderer, der seine Familie und die Berge vermisste, wieder nach Österreich zurück. Pessl behielt ihre Anstellung in den USA und verbrachte in den folgenden Jahren nur die Sommer in Salzburg.
Wunderer wurde für sein künstlerisches Wirken mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht: Er war Offizier der Académie française, Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich, Regierungsrat, Ehrenvorstand der Wiener Philharmoniker, erhielt das Österreichische Verdienstkreuz für Kunst und Wissenschaft, den Hofratstitel und die Ehrenmedaille der Stadt Wien.
Alexander Wunderer starb am 29. Dezember 1955 in Zinkenbach bei St. Gilgen.
Quellen / Literatur:
mdw-Archiv: Personalakt Alexander Wunderer; 98/Res/1938, 133/Res/1938.
data.matricula-online.eu: Rk. Erzdiözese Wien, Pfarre St. Ulrich, Taufbuch Bd. 70, fol. 177; Pfarre Alservorstadt, Taufbuch Bd. 37, fol. 208; Pfarre Reindorf, Taufbuch Bd. 60, fol. 135, Sterbebuch Bd. 47, fol. 52, Taufbuch Bd. 61, fol. 138, Taufbuch Bd. 65, fol.179 u. Taufbuch Bd. 70, fol. 76.
Josef Bednarik, Das Leben Alexander Wunderers, Teil 1, in: Gesellschaft der Freunde der Wiener Oboe (Hg.); Wiener Oboen-Journal, H. 29 (März 2006), S. 10-22; Teil 2, in: Gesellschaft der Freunde der Wiener Oboe (Hg.); Wiener Oboen-Journal, H. 30 (Juli 2006), S. 9-25 und Teil 3, in: Gesellschaft der Freunde der Wiener Oboe (Hg.); Wiener Oboen-Journal, H. 31 (Oktober 2006), S. 3-17.
wien.gv.at: WAIS – Wiener Archivinformationssystem, Meldezettel Alexander Wunderer.
musiklexikon.ac.at: Barbara Boisits, Artikel „Wunderer, Familie“.
geschichtewiki.wien.gv.at: Artikel „Alexander Wunderer“.
Egon Kornauth, Nachruf „Alexander Wunderer“, in: Österreichische Musikzeitschrift, Jg. 11, H. 2, S. 75.
magazin.wienmuseum.at: Susanne Breuss, Das Kosmetikinstitut von Helene Pessl. Schönheit aus dem Dianabad.
1133.at: Helga Scholz-Michelitsch, Artikel „Alexander Wunderer“.
Franz Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitgeschichte, Wien 1929, S. 696.
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newspapers.com: The News Journal, 17.05.1950, S. 25; The Morning News, 20.01.1951, S. 6.Empfohlene Zitierweise:
Erwin Strouhal: Alexander Wunderer, in: Gedenkbuch für die im Nationalsozialismus verfolgten Angehörigen der mdw – Universität für Musik und darstellende Kunst Wien (https://gedenkbuch.mdw.ac.at/gedenkbuch/persons//fec2afb2-793a-4d84-a88f-0bd6e5374341/)Letzte Änderung: 14.11.2024